„Die vergessene Generation“ – Altersarmut und Vereinsamung im Fokus der „Saarländischen Armutskonferenz“
Die „Saarländische Armutskonferenz“ (SAK) widmete sich im Rahmen des SAK Talks dem Thema „Die vergessene Generation“ – Immer mehr ältere Menschengeraten in Armut. Unter der Moderation von Michael Leinenbach diskutierten Gaby Böhme (Seniorenbeauftragte DBSH Saar), Christine Steimer (Vorsitzende der KAB Saar und Mitwirkende im Momentum Neunkirchen), Patricia Delu (Leiterin des Mehrgenerationenhauses Homburg AWO Saarland) und Holger Simon (Geschäftsführer des Vereins für Sozialpsychiatrie) über die zunehmende soziale Ausgrenzung älterer Menschen. Der SAK Talk fand Mitte September 2025 in Saarbrücken statt.
Das Statistische Bundesamt stellte für das Jahr 2023 fest, dass die Armutsgefährdungsquote bei Personen ab 65 Jahren bei 19,4 % lag. In der Altersgruppe ab 75 Jahren betrug sie 19,1 %. Darüber hinaus zeigt sich laut Bundesamt, dass mit zunehmendem Alter die Unterschiede zwischen den Geschlechtern größer werden: So lag die Armutsgefährdungsquote bei Frauen ab 65 Jahren bei 21,4 %, während sie bei Männern derselben Altersgruppe 17 % betrug. Seniorinnen ab 75 Jahren waren zu 21,8 % armutsgefährdet, bei Senioren dieser Altersgruppe lag die Quote bei 15,4 %. Die Parität stellte in ihrem Armutsbericht vom 29.04.2025 fest, dass jede fünfte Frau über 65 Jahren von Altersarmut betroffen ist.
Statistische Zahlen spiegeln nicht die Wirklichkeit wider
Die Diskutanten betonten, dass es sich hierbei nur um statistische Zahlen handelt, in der Realität heute, viel mehr Menschen betroffen sind. Viele gerade ältere Menschen beantragen aus Scham, Unkenntnis und anderen Gründen z.B. keine Grundsicherung im Alter.
Eine besondere Beachtung muss der Gesichtspunkt erhalten, dass ältere Menschen in den aktuellen politischen Debatten als Kostenfaktoren dargestellt werden. Eine Gesellschaft, die sich in kapitalistische Zwänge begibt, verliert die Achtung der Menschenwürde einhergehend mit einer immer mehr expandierenden Bürokratie.
Einfache Lösungsansätze eine solche Haltung zu beenden sind bekannt. Würde die Struktur in den Sozialgesetzbüchern geändert, so könnten u.a. Menschen mit Erziehungsauftrag, Teilzeitarbeitende und Menschen in Minijobs durch eine Sockelrente, die dem notwendigen Lebensunterhalt entspricht, eine sichere Zukunft erhalten. Hiermit würde u.a. Frauen, die sich aufgrund der Versorgung der Familie nicht um die eigene Versorgung im Alter kümmern konnten, geholfen werden.
Aktuell jedoch führen die gesetzlichen Regelungen zu mehr Alltagsrisiken und Wohnungsnot. Die Spirale dreht sich, wenn diesen nicht Einhalt geboten wird, immer weiter.
Aktuell sind keine politischen Lösungsansätze erkennbar
Die allseits beschworene Mütterrente ist ein politisches Instrument, das vor allem Frauen der Mittelschicht eine gewisse Anerkennung verschafft. Frauen, die in der Grundsicherung leben, können jedoch durch diese Leistung aus dem System herausfallen – mit teils gravierenden Folgen.
Die gesellschaftliche Umverteilung geht zu Lasten der Frauen
Ein weiteres Thema im SAK Talk war die Vereinsamung. Besonders Menschen ohne Angehörige die zu Hause leben oder auch in Einrichtungen, sind hiervon bedroht.
Leben Menschen zu Hause, so muss letztendlich u.a. eine gesetzliche Betreuung verfügt werden, die die Versorgung regelt. Gleichzeitig ist zu beachten, dass in allen helfenden Diensten massiver Personalmangel herrscht, so dass teils eine Versorgung in der häuslichen Umgebung nicht sichergestellt werden kann. Spezielle Angebote wie Mehrgenerationenwohnen oder Genossenschaften, können sich daher eher Menschen aus der Mittelschicht leisten.
Sind in ländlichen Räumen teils noch Netzwerke vorhanden, die ältere Menschen auffangen können, so sind diese in städtischen Strukturen bereits weggebrochen. Viele ältere Menschen fallen durch die Netze und vereinsamen dadurch zusehends. Zwar gibt es noch ehrenamtliche Angebote in vielen sozialen Einrichtungen. Jedoch fallen diese mit Wegbrechen der älteren Generation nach und nach zusammen, so dass Ehrenamtssysteme in der Versorgung wegfallen. Mittlerweile funktionieren Hilfesysteme nur noch dort, wo Menschen bereit sind sich zu engagieren.
Ehrenamt kann jedoch nicht Hauptamt ersetzen
Die Versorgung der älteren Menschen ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
In der Realität kommen ältere Menschen, wenn, erst sehr spät in die sozialen Einrichtungen um Hilfe und Beratung zu bekommen. Aufsuchende Arbeit sollte daher für den ambulanten als auch stationären Bereich eine wichtige Bedeutung erhalten. Wohneinrichtungen für ältere Menschen müssen sich dem Gemeinwesen / Quartier öffnen.
Grundsätzlich fehlt es an einer aufsuchenden Arbeit für ältere Menschen
Grundsätzlich sollte der Staat seine älteren Menschen, die maßgeblich den aktuellen Wohlstand aufgebaut haben, so versorgen, dass die Menschenwürde beachtet und die Teilhabe geachtet wird. Diese Forderung betrifft sowohl den ambulanten als auch stationären Bereich.
Wenn, wie aktuell, Finanzen im Vordergrund stehen, verliert sich das Engagement. Immer mehr ältere Menschen verlieren durch staatliche Hürden wie
• zu viel Kontrolle
• zu viel Bürokratie
• zu wenig Zeit für ältere Menschen
eine menschenwürdige Betreuung.
Alternativen sind bekannt: Regionalbudgets, wie sie in nordeuropäischen Ländern eingesetzt werden, entbürokratisieren das System.
Gleichzeitig sollte ein Bewusstsein eintreten, dass ältere Menschen keine Kostenfaktoren darstellen, sondern sie im Gegenteil, wie in allen Sozialen Systemen, durch für sie organisierte Betreuungsleistungen an der regionalen Mehrwertschöpfung beteiligt sind.
Die LIGA Rheinland-Pfalz stellte bereits 2014 in ihrem Bericht MehrWertSchöpfung – Die Freie Wohlfahrtspflege als Wirtschaftsfaktor in Rheinland-Pfalz fest, dass rund 30 % der investierten Mittel in die öffentliche Hand zurückfließen und 70 % zur regionalen Wertschöpfung beitragen.
Abschließend stellten die Diskutanten Ideen und Vorstellungen für eine menschenwürdige Versorgung der älteren Bevölkerung zur Diskussion.
• Grundsätzlich muss ein solidarisches System aufgebaut werden (niemand darf durch das Netz fallen).
• Die Versorgung der älteren Menschen muss (wie alles sozialen Systeme) entbürokratisiert werden (mehr mit Menschen arbeiten als sie zu verwalten).
• Der Staat hat über verschiedene Datenerfassungen alle notwendigen Informationen und sollte seine Dienste in die Lage versetzen, notwendige Hilfen anzubieten.
• Der Staat muss verpflichtet werden Teilhabe zu ermöglichen, Gesundheitsversorgung vorzuhalten und die Versorgung zu gewährleisten.
• Die Achtung der Menschenwürde muss verstärkt in das staatliche Handeln einfließen und Bürokratisierung ablösen.
• Grundsätzlich muss eine Umverteilung der Gelder erfolgen. Hier müssen Themen wie die ausstehende Vermögenssteuer angegangen werden.
• Das Rentensystem bedarf einer dringenden Sanierung. Einerseits muss ein menschenwürdiger Sockelbetrag als Grundrente für alle eingeführt werden. Gleichzeitig muss dafür Sorge getragen werden, dass das System entsprechend finanziert ist. Auch müssen familiäre Tätigkeiten wie Pflege, Erziehung sowie Ehrenamt in der Rente eine entsprechende Berücksichtigung finden. Hierzu müssen, wie in angrenzenden europäischen Ländern, alle Erwerbstätigen in die Rente einzahlen und die aktuellen Statusgruppen müssen aufgelöst werden.
Eine menschenwürdige und lebenswerte Rente für alle
Der SAK Talk ist eine Kooperationsveranstaltung der Saarländischen Armutskonferenz (SAK) e.V., dem Deutschen Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH) e.V. Landesverband Saar, der Vereinigung der Profession Soziale Arbeit (VPSA) e.V., der Rosa Luxemburg Stiftung Saarland.
Autor: Michael Leinenbach
Fotos:
Michael Sperlich - SAK