Gegendarstellung des VPSA zur Äußerung von US-Kardinal Timothy Dolan - Zur Instrumentalisierung religiöser Symbolik im politischen Diskurs
Die kürzliche Charakterisierung des ermordeten politischen Aktivisten Charlie Kirk durch US-Kardinal Timothy Dolan als einen „modernen Paulus“ wirft gewichtige Fragen auf – nicht nur in theologischer Hinsicht, sondern auch im Blick auf das Selbstverständnis religiöser Autorität in pluralistischen Gesellschaften. Eine solche Zuschreibung ist theologisch unangemessen, ethisch fragwürdig und politisch: gesellschaftlich folgenreich
(Bezug:
https://www.domradio.de/artikel/us-kardinal-dolan-vergleicht-kirk-mit-apostel-paulus).
1. Theologische Inkohärenz des Paulus-Vergleichs
Die Gestalt des Apostels Paulus steht in der christlichen Überlieferung für einen radikalen Bruch mit alten Feindbildern, für die universale Ausweitung des göttlichen Gnadenangebotes und für die Versöhnung als Grundgestus christlicher Existenz. Ihn mit einer Figur wie Charlie Kirk gleichzusetzen – einem Akteur, der durch dezidiert polarisierende Rhetorik und kulturkämpferische Mobilisierung –, bedeutet nicht nur eine krasse theologische Fehllektüre, sondern eine eklatante Verzerrung der biblischen Botschaft. Derartige Vergleiche verkennen das Wesen paulinischer Verkündigung und verkehren das Evangelium in ein machtpolitisches Narrativ.
2. Verantwortung religiöser Autoritäten im Spannungsfeld von Religion und Politik
Die öffentliche Rede eines Kardinals ist nie nur persönliche Meinungsäußerung – sie hat kirchliche Signatur und somit auch institutionelles Gewicht. Insofern tragen Würdenträger wie Kardinal Dolan eine besondere Verantwortung, wenn sie sich in politische Debatten einbringen. Wer eine kontroverse Figur wie Kirk durch eine theologisch aufgeladene Symbolik sakral überhöht, leistet einer problematischen Tendenz Vorschub: der Verwandlung religiöser Sprache in ein Legitimationsinstrument ideologisch gefärbter Weltdeutungen. Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Fragmentierung wäre ein nüchterner, kritischer Ton gefragt – kein identifikatorischer Schulterschluss mit spaltenden Akteuren.
3. Die Pervertierung des Martyriumsbegriffs und ihre gesellschaftspolitischen Implikationen
Die Rede vom „modernen Paulus“ evoziert nicht nur eine Apostelanalogie, sondern schließt auch implizit die Kategorie des Martyriums ein. Damit wird Kirks Tod in eine heilsgeschichtliche Logik eingebunden, die dem säkular-politischen Kontext unangemessen ist. Eine solche Sakralisierung politisch motivierter Gewalt kann fatale Folgen haben: Sie verklärt den politischen Konflikt zur spirituellen Auseinandersetzung zwischen „Gut“ und „Böse“ und delegitimiert damit jegliche Form kritischer Mehrdeutigkeit. Statt differenzierender Analyse wird eine mythologisierende Geschichtserzählung bedient, die den gesellschaftlichen Diskurs nicht heilt, sondern weiter vergiftet.
4. Unmissverständliche Verurteilung von Gewalt – ohne ideologische Codierung
Die Ermordung Charlie Kirks ist zweifellos eine abscheuliche Tat, die – unabhängig von weltanschaulicher Differenz – auf das Schärfste zu verurteilen ist. Doch moralische Klarheit verlangt mehr als Empörung: Sie verlangt auch die Verweigerung religiöser Überhöhung. Dolans Äußerung stellt eine vertane Chance dar, Gewalt nicht im Sinne politischer Heroisierung zu deuten, sondern sie als das zu benennen, was sie ist: ein Bruch des zivilen Zusammenlebens, der nicht auf den Altar ideologischer Märtyrerverehrung gehört.
Die Kirche steht – gerade in polarisierten Gesellschaften – in der Pflicht, nicht Partei zu ergreifen, sondern Räume der Verständigung zu eröffnen. Wer religiöse Begriffe wie „Mission“, „Berufung“ oder „Heiligkeit“ für die Glorifizierung politischer Akteure instrumentalisiert, entkernt diese Begriffe ihrer spirituellen Substanz.
Die Herausforderung für kirchliche Autoritäten unserer Zeit liegt nicht in der Wiederholung kulturkämpferischer Narrative, sondern in der Rückbesinnung auf ihre originäre Aufgabe: eine Stimme des Friedens, der Mäßigung und der moralischen Orientierung zu sein – jenseits parteipolitischer Loyalitäten.
Für das VPSA-Team
Thomas Greune
1.Vorsitzender
Hintergrund:
Rahner, Karl: Sendung und Verantwortung der Kirche in der Welt, in: Schriften zur Theologie, Bd. VII, Herder, Freiburg 1966.
Relevante Gedanken bei Rahner (aus Schriften zur Theologie, Bd. VII)
Hier Aussagen Rahners aus dem genannten Text, die m.E. zur Argumentation passen.
1. Kirche darf nicht zum „ideologischen Werkzeug“ verkommen
Rahner warnt mehrfach davor, dass die Kirche sich in politische Ideologien einspannen lässt:
„Die Kirche darf nicht Partei werden für bestimmte weltliche Gruppierungen, sonst verliert sie ihre Sendung als das freie, von Gott her kommende Gewissen der Welt.“ (Bd. VII, S. 20)
Diese Aussage passt m.E. direkt zum zweiten Punkt – der Verantwortung kirchlicher Autoritäten im Spannungsfeld zwischen Religion und Politik.
2. Warnung vor „Verkirchlichung“ des Politischen
Rahner beobachtet eine problematische Tendenz, politische Kategorien mit religiösem Pathos aufzuladen:
„Nicht alles, was im Namen Gottes gesagt wird, ist darum schon göttlich. Und nicht alles, was im Namen der Kirche geschieht, hat ihre Sendung auf seiner Seite.“ (Bd. VII, S. 33)
Das unterstützt die Kritik an Dolans Vergleich Kirk = Paulus → es wird eine „Heiligkeit“ suggeriert, die nicht trägt.
3. Über das Martyrium – und seine geistliche Bedeutung
Rahner betont, dass echtes Martyrium nicht politisch konstruierbar ist:
„Martyrium ist nicht religiöse Heroisierung eines politischen Todes, sondern
die bewusste Hingabe des Lebens im Glauben, nicht im Dienst eines Parteiprogramms“. (Bd. VII, S. 76)
Das ist fast deckungsgleich mit dem dritten Abschnitt zur Pervertierung des Martyriumsbegriffs - meine ich.
4. Kirche als „kritisches Gewissen“ – nicht als „heiliger Arm“ politischer Ordnung
„Gerade wenn sie nicht mehr Macht hat, ist die Kirche berufen, prophetisch zu sprechen. Nicht zur Sicherung der Ordnung, sondern zur Verunsicherung des Gewissens.“ (Bd. VII, S. 12)
Das unterstützt die abschließende Forderung, die Kirche solle „nicht Partei ergreifen, sondern Räume der Verständigung eröffnen“.